Birkenstock-Sandalen: Wann ist Design Kunst?

Der bekannte Schuhhersteller Birkenstock hatte sich in drei Verfahren gegen Mitbewerber gewendet, die Schuhmodelle anboten, welche wiederum Ähnlichkeiten zu mehreren Sandalenmodellen von Birkenstock aufweisen. Zentrale Punkt war die Klärung der Frage: „handelt es sich bei den Birkenstock-Modellen um urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst“?
Sachverhalt:
Birkenstock verklagte Mitbewerber u.a. auf Unterlassung und Schadensersatz und argumentierte, bestimmte Gestaltungsmerkmale (z.B. Fußbettform, Riemenführung, Materialwahl) seien künstlerisch geprägt. Das Landgericht Köln gab der Klage in erster Instanz statt, das Oberlandesgericht Köln lehnte die urheberrechtliche Schutzfähigkeit in der Berufung jedoch ab. Der Bundesgerichtshof (BGH) schließlich bestätigte diese Abweisung und wies die Revision von Birkenstock mit Urteilen vom 20.Februar 2025 zurück (Az. I ZR 16/24; I ZR 17/24; I ZR 18/24).
Fazit:
Der BGH stellte klar, dass die Sandalenmodelle nicht die erforderliche „Gestaltungshöhe“ erreichen und daher keinen Urheberschutz genießen. Urheberrechtlich geschützt ist nur eine persönliche geistige Schöpfung mit individueller Prägung und überdurchschnittlichem ästhetischem Gehalt. Nach Auffassung des Gerichts sind die Birkenstock-Modelle zwar wiedererkennbar, aber überwiegend technisch-funktional orientiert (Fußgesundheit, Tragekomfort) und folgen traditionellen Vorbildern. Ein schöpferisches Ausnutzen des Gestaltungsfreiraums, das die Persönlichkeit des Entwerfers ausdrückt, war nicht erkennbar. Daher fehlte jede künstlerische Leistung im urheberrechtlichen Sinne, und Birkenstock erhielt keinen Schutz.
Praxis-Hinweis:
Die Rechtsprechung des BGH sendet ein klares Signal: Der Urheberrechtsschutz für Gebrauchsgegenstände ist anspruchsvoll. Für ein funktionales Produkt muss die Gestaltung eine „persönliche geistige Schöpfung“ darstellen, die deutlich über bloße Handwerkskunst oder zweckgebundenes Design hinausgeht und die freie kreative Entscheidung sowie die individuelle Persönlichkeit des Schöpfers zum Ausdruck bringt. Ikonischer Status, kommerzieller Erfolg oder Anerkennung in Designkreisen sind allein nicht ausreichend.
Das Thema „Urheberschutz für Gebrauchsgegenstände“ hat der BGH auch dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt (Rs. C-795/23). Die bisherige Richtschnur dürfte voraussichtlich bestätigt werden.
Das Urheberrecht bietet im Vergleich zum Designschutz (max. 25 Jahre ab Anmeldung) zwar einen lange Schutzdauer (70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers). Ein entscheidender Nachteil ist aber, dass es sich nicht um ein Registerrecht handelt.
Take-away für die Praxis:
Angesichts der strengen Anforderungen an den Urheberrechtsschutz ist eine umfassende Schutzstrategie unerlässlich:
- Priorisieren Sie den Geschmacksmusterschutz: Dieser schützt das Erscheinungsbild eines Produkts effektiver und mit niedrigeren Originalitätsschwellen als das Urheberrecht.
- Ziehen Sie den Markenschutz in Betracht: Für unverwechselbare Produktmerkmale, die als Herkunftszeichen dienen, bietet eine Markenanmeldung langfristigen Schutz.
- Dokumentieren Sie den Designprozess akribisch: Das Urheberrecht ist kein Registerrecht. Es sich daher unerlässlich, die kreativen Prozesse zu dokumentieren (z.B. Skizzen, Prototypen), um darzulegen, wie Gestaltungsspielräume persönlich ausgefüllt wurden. Nur so lässt sich u.U. die hohe Nachweispflicht bei Gebrauchsgegenständen erfüllen. Heben Sie spezifische Designentscheidungen hervor, die nicht technisch bedingt waren und Ihre einzigartige künstlerische Persönlichkeit widerspiegeln.
- Setzen Sie auf kumulativen Schutz: Ein vielschichtiger Ansatz aus Geschmacksmustern, Marken und ggf. Wettbewerbsrecht bietet die umfassendste Strategie.
- Verstehen Sie den „Originalitäts“-Test: „Originalität“ im Urheberrecht bedeutet einen kreativen Sprung über das Funktionale oder Alltägliche hinaus.
- Unterscheiden Sie „Design“ von „Kunst“: Urheberrechtsschutz erfordert, dass das Design seinen Gebrauchszweck überwindet und einen klaren künstlerischen Ausdruck verkörpert.
- Proaktive IP-Strategie: Konsultieren Sie frühzeitig Rechtsexperten für geistiges Eigentum.
- Regelmäßige Überprüfung: Überprüfen Sie Ihr IP-Portfolio kontinuierlich.
Wir danken Herrn Rechtsanwalt Michael De Zorti herzlich für seinen informativen Beitrag. Wenn Sie Fragen oder rechtliche Anliegen im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes haben, können Sie sich jederzeit an Herrn De Zorti wenden. Er steht Ihnen mit seiner Expertise zur Verfügung und berät Sie gerne in allen Angelegenheiten rund um den Schutz Ihres geistigen Eigentums.

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